Für eine einheitliche Medienkontrollkommission
(aus einem Antrag an die LAG Medien von Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein vom Oktober 2004)


Seit gut 20 Jahren existiert in Deutschland ein duales System im Hörfunk und Fernsehen – bestehend einerseits aus den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und andererseits aus den unterschiedlichen privaten Anbietern. Zur Lizenzierung und Kontrolle der neuen privaten Sender wurden vor mehr als 20 Jahren – dem Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland entsprechend – in den einzelnen Bundesländern Landesmedienanstalten etabliert und diesen, ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Aufsichtsgremien zugeordnet, die sich aus Vertretern der sogenannten gesellschaftlich-relevanten Gruppen und Organisationen zusammensetzten.

Seitdem werden die beiden Säulen des deutschen Rundfunksystems von unterschiedlichen Aufsichtsgremien überwacht, und dies trotz zunehmender Konvergenz beider Anbietergruppen. Es gelten zwar dieselben gesetzlichen Bestimmungen und Vorgaben, aber geurteilt wird mitunter nach ganz unterschiedlichen Kriterien, sofern denn überhaupt eine wirkliche Kontrolle ausgeübt wird.


Nicht ausschließlich die Privaten verstoßen gegen die „Regeln“...

In der Öffentlichkeit werden dabei bislang verstärkt die negativen Auswüchse des privaten Rundfunks – seien es beispielsweise „Big Brother“ oder „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ - zur Kenntnis genommen und zurecht heftig kritisiert, die regelmäßigen Verstöße der öffentlich-rechtlichen Sender bleiben aber zumeist ohne Konsequenzen:

- Stichwort Werbung: Es ist schon erstaunlich und zudem äußerst bedenklich, welche Kreativität die öffentlich-rechtlichen Sender inzwischen bei der Platzierung von Werbung und Sponsoring, gerne aber auch bei der Schleichwerbung, an den Tag legen. Kaum eine bedeutende TV-Show – und nicht nur Thomas Gottschalks „Wetten, dass...“ – kommt mittlerweile ohne diese eher fragwürdigen Werbeformen aus, angeblich, weil die milliarden-schweren GEZ-Gebührenmittel nicht ausreichen würden. Zudem greifen ARD und ZDF hier übrigens in einen Bereich ein, in dem sie in echter Konkurrenz zu den privaten Sendern stehen, ohne dass sie hierfür - anders als ihre privaten Mitbewerber - mit Sanktionen rechnen müssen.

- Stichwort FSK-/FSF-Kriterien: Gemäß der gesetzlichen Bestimmungen dürfen Spielfilme mit einer Klassifizierung von FSK 16 oder FSK 18 erst ab 22.00 bzw. 23.00 ausgestrahlt werden, für reine Fernsehproduktionen gelten entsprechend die Regeln der FSF. Wendet man diese Kriterien einmal – und nicht nur ob der dort üblichen Gewalt wäre dieses mehr als gerechtfertigt – auf die beliebteste Serie der ARD an, so dürfte eigentlich kaum ein einziger „Tatort“ am Sonntag schon um 20.15 h über den Äther flimmern. Pikante Randnotiz: der sonst eher freizügigere, ebenfalls öffentlich-rechtliche ORF strahlt diese Krimireihe in Österreich übrigens erst nach 22.00 h aus.

- Stichwort Pornographie: Nicht nur einmal sendete der deutsch-französische Kulturkanal ARTE zur besten Hauptsendezeit (20.45 h) den Spielfilm „Im Reich der Sinne“ des japanischen Regisseurs Oshima. Ein cineastisches Meisterwerk, das von der Kritik zurecht in den höchsten Tönen gelobt worden ist, aber aufgrund seiner mehr als eindeutigen pornographischen Szenen – der Film beinhaltet u.a. eine ca. fünfminütige Oral-Sexszene in Nahaufnahme inkl. sichtbarer Ejakulation – auf dem Index steht und damit eigentlich nicht einmal nach 23.00 h ausgestrahlt werden dürfte. ARTE ist leider kein Einzelfall, auch die Dritten Programme zeigen gerne mal unter dem Deckmantel des vermeintlich künstlerischen Anspruches Pornographisches in ihren Abend- oder Nachtschienen.

- Stichwort Wortanteil: Während die privaten Radio-Sender ob ihrer Lizenzauflagen bestimmte Wortanteile – gemeint sind dabei ausschließlich Nachrichten, Information, Bildung etc., nicht die üblichen Moderationen oder die Eigenwerbung – erfüllen müssen, braucht sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seinen (Sparten-)Programmen an keinerlei solche Einschränkungen halten. Im Gegenteil: Er greift immer wieder gerne erfolgreiche Sendeformate der Privaten auf und kopiert diese - allerdings dann ohne störende Werbung und beinahe fast wortfrei und somit meist zu Lasten der privaten Konkurrenz. Jüngstes Beispiel im Norden: der jahrelange Konkurrenzkampf zwischen delta radio und N-JOY, der in letzter Konsequenz de facto dazu führte, dass die Lizenzauflagen von delta radio geändert wurden – in diesem Fall bedeutete dies eine Reduzierung des Wortanteils.

All diese Beispiele belegen vor allem eines: Selbst wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen vereinzelt Pornographisches oder die übliche Tatort-Gewalt zeigt, so wird dies zwar gelegentlich auch öffentlich diskutiert, aber eigentlich nie sanktioniert. Mehr noch, nie wirklich belangt, trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer wieder durch sein Verhalten dazu bei, die Konvergenz im dualen System negativ zu beschleunigen, indem er gerne mit seiner privaten Konkurrenz um die Fernseh- und Radiohoheit über die seichteste Kost buhlt. Im Extremfall könnte dieses Agieren nicht nur als möglicherweise ordnungspolitisch relevant interpretiert werden – die de facto staatliche Finanzierung eines Parts (durch GEZ-Gebühren) könnte EU-weit als unerlaubter Eingriff in den freien Wettbewerb interpretiert werden -, sondern trägt auch schon jetzt dazu bei, den bereits geringen Einfluss der Landesmedienanstalten auf das Programm der privaten Anbieter weiter zu Lasten des Niveaus und der Allgemeinheit zu reduzieren.

Zugegeben, auch die privaten Veranstalter sind beim Ausloten rechtlicher Grenzbereiche sehr erfindungsreich und nicht wirklich mit Skrupeln behaftet, aber sie wissen sehr wohl, dass sie Probleme bekommen, wenn sie sich dabei von den Landesmedienanstalten erwischen lassen. Die Folgen sind eine öffentliche Abmahnung oder Geldstrafen, und im Wiederholungsfalle droht gar ein Lizenzentzug, alles mit entsprechender Negativpresse - und das bleibt immer noch ein gewaltiger Unterschied, so banal er sich auch anhören mag.


Neue effektivere Aufsichtsgremien braucht die Rundfunklandschaft

Seit Einführung des dualen Rundfunksystems wird immer wieder auch nach Wegen für eine Verbesserung der Medienaufsichtsstrukturen gesucht. In diesem Jahr geschah dies u.a. im Umfeld der Diskussionen um die Erhöhung der Rundfunkgebühren. Bei dem stetigen Nachdenken über Strukturänderungen in der Medienaufsicht wird dann besonders gern von der öffentlich-rechtlichen Seite des dualen Systems zuerst nach Einsparpotentialen bei den Landesmedienanstalten gesucht. Bei ARD und ZDF denkt man nämlich weiter bewusst in kleineren Dimensionen, um ja nicht am eigenen Status Quo zu rütteln und um die Mär vom guten – informativen wie bildungspolitisch wertvollen – öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den bösen – eher boulevard-orientierten wie sittenverrohenden – privaten Sendern aufrecht zu erhalten. (Dabei wird allerdings gerne auch außer Acht gelassen, dass sich beide Seiten unterschiedlich finanzieren: die einen ausschließlich durch Werbeeinnahmen und somit auch dem Zwang zur Popularität unterworfen, die anderen hauptsächlich durch Gebühren, was auch und gerade den Auftrag zur Vermittlung von Bildungsinhalten und einer Grundversorgung der Bevölkerung bedingt.)

Es wäre aber anderseits dringend an der Zeit, die aktuellen Strukturen insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und sich in diesem Zusammenhang auch davon zu verabschieden, die beiden Säulen der deutschen Rundfunklandschaft als zwei mehr oder weniger beziehungslos nebeneinander existierende Mikrokosmen zu beurteilen. Betrachtet man das duale System einmal als das, was es in Wirklichkeit auch ist, nämlich als einheitliche Rundfunklandschaft, die von vielen unterschiedlichen Beteiligten bestellt wird, dann erscheint auch die seit zwanzig Jahren praktizierte Trennung bei der Rundfunkaufsicht nicht mehr zwingend. Im Gegenteil: Sie löst sich mehr und mehr auf.

Bei einer Neuordnung der Kontrollgremien sollten allerdings weniger Einsparungspotentiale im Vordergrund stehen, wie sie in letzter Zeit immer wieder vor allem von Seiten der Politik gefordert worden sind – diese sind vielleicht eher ein zufälliger positiver Nebeneffekt -, sondern primär die Überlegung, beide Säulen des dualen Systems identischen Bewertungskriterien und Sanktionen, vor allem aber einer neutralen Überwachungsinstanz zu unterwerfen.


Die freiwillige Selbstkontrolle funktioniert nur lückenhaft

Oberstes Ziel dieser Gremienreform muss sowohl eine Vereinfachung und Effizienz der Kontrolle durch Vereinheitlichung als auch ein effektiverer Jugendschutz sein. Letzterer ist nicht nur durch die zunehmende Dominanz der Neuen Medien, sondern auch durch den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der jetzt seit rund anderthalb Jahren gültig ist, schwer belastet. Dieser überlässt nämlich den Schutz von Kindern und Jugendlichen und der Menschenwürde hauptsächlich der Selbstkontrolle der (privaten) Sender. Die Landesmedienanstalten dürfen durch ihre Kommission für Jugendmedienschutz, die KJM, nur noch dann korrigierend eingreifen, wenn sich die Selbstkontrolle nicht an die ihr gewährten großen Freiräume hält.

Eine erste Bilanz nach dieser kurzen Zeitspanne sieht daher nicht rosig aus: Die Selbstkontrolle ist für die Sender gut, die neutrale Vollkontrolle durch die Landesmedienanstalten war für Kinder und Jugendliche besser. Die Freiräume der Selbstkontrolle sind zu groß, die Möglichkeiten der KJM, sie zu kontrollieren und vor allem Grenzen zu ziehen, sind zu klein. Es bewahrheitet sich ein weiteres Mal der Satz: Wer zu viel kontrolliert, der bestraft den Markt, wer zu wenig kontrolliert, den bestraft der Markt. Davon kann sich jeder in der Fernsehwirklichkeit täglich sein eigenes privates Bild machen – und die Öffentlich-Rechtlichen haben dieses bereits in vielen Bereichen ungestraft vorgelebt:

• Filme, die nicht ohne Grund und sicher nicht nur wegen einzelner Szenen unter Jugendschutzaspekten erst am späten Abend oder in der Nacht gezeigt werden dürften und früher auch nur dann gezeigt wurden, hält die FSF nach gekonnten Schnitten nicht selten für die geeignete Fernsehkost zur besten Sendezeit. Ein schwacher Trost am Rande: anders als beim „Tatort“ schneiden die Verantwortlichen in diesem Falle noch...

• Und weil sich Veranstalter wie FSF gleichermaßen gut mit Schnitten auskennen, sind auch Schönheitsoperationen im Fernsehen für die FSF kein Problem. Obwohl die neuen Sendeformate mit Blick auf die Menschenwürde und den Kinder- und Jugendschutz mehr als bedenklich sind, gibt das derzeitige gesetzliche Regelwerk der KJM kaum Möglichkeiten, den verantwortlichen Sendern das Skalpell aus der Hand zu nehmen und den Bildschirm operationsfrei zu halten.

• Und auch im Falle von Premiere wurde trickreich (schön-)operiert, um einnahmekräftig als erster Sender in Deutschland harte Pornographie - sorry vielmals: Vollerotik nennt sich dieses Format im neuen Mediendeutsch - ausstrahlen zu dürfen. Obwohl in Deutschland im Fernsehen eigentlich verboten, haben die bayrische Staatskanzlei und die BLM eine Lücke gefunden: Man erklärte den Sender „Blue Movie“ einfach zum Mediendienst. Immerhin schützt anders als bei ARTE hier eine funktionierende Jugendschutzsperre Kinder und Jugendliche vor dem Sichten der Inhalte.

Das derzeitige Fazit lautet daher: Nicht die Veranstalterinteressen, sondern die gesellschaftliche Verantwortung, müssen zukünftig im Vordergrund stehen. Sollte es bei der Selbstkontrolle der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender nicht zu erkennbaren Korrekturen kommen, muss der Gesetzgeber, der das Funktionieren der kontrollierten Selbstkontrolle nach Ablauf einer dreijährigen Bewährungszeit überprüfen will, beim Jugendmedienschutz neue Wege gehen. Und zu diesen neuen Wegen könnte - nein, vielmehr muss - dann auch gehören, möglicherweise den Landesmedienanstalten als staatsfernen neutralen Einrichtungen mit nunmehr 20 Jahren Erfahrung bei der privaten Rundfunkkontrolle die Aufsicht über das gesamte duale System und damit auch über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu übertragen.


Grün wirkt.