Kaufen? Verkaufen? Was OB-Kandidaten mit Bonbons gemeinsam haben

Karlsruhe - Was hat die Oberbürgermeisterwahl in Karlsruhe mit einem Glas voll bunter Smarties zu tun? Nichts? Von wegen! Thomas Peick betreut auf wahlfieber.at die Wahlbörse zur Karlsruher OB-Wahl. Im Interview erklärt er, was bunte Bonbons und OB-Kandidaten gemeinsam haben und warum deutsche Medien beim Thema Wahlbörsen noch viel zu ahnungslos sind.

 

Herr Peick, Sie betreuen für ka-news den Prognosemarkt zur Karlsruher Oberbürgermeisterwahl. Wer hat hier denn aktuell die Nase vorn?
Derzeit liegt der gemeinsame Kandidat von SPD, Grünen und KAL, Frank Mentrup, deutlich vorne. Aber dies ist lediglich eine Momentaufnahme. Wenn auch eine mit Bestand. Dennoch - völlig ausschließen möchte ich es nicht - könnte sich die Reihenfolge innerhalb der kommenden zwei Wochen noch entscheidend ändern.
 

Wahlergebnisse per fiktivem Aktienmarkt vorherzusagen klingt zunächst nach einer reichlich komischen Idee. Wie funktioniert das?
Manch einer soll angeblich sogar mutmaßen, es könnte ein wenig Zauberei oder gar Voodoo mit im Spiel sein ... Nein, im Ernst: Alles, was auf einer Wahlbörse passiert, ist nachvollziehbar und logisch erklärbar. Zwei Dinge greifen dabei ineinander: Die sogenannte Schwarm-Intelligenz und die Mechanismen eines realen Börsenmarktes.

Das klingt jetzt erstmal reichlich abstrakt ...
Wir alle kennen den Glaskasten im Einkaufszentrum, der mit Tennisbällen oder anderen identischen Gegenständen gefüllt ist. Der einzelne Kunde ist aufgefordert abzuschätzen, wie viele Bälle sich insgesamt hinter dem Glas befinden. Wer der richtigen Anzahl am Nächsten kommt, gewinnt einen - nicht selten lukrativen - Preis. Ich selbst mag mich dabei weit verschätzen, nach oben oder unten, egal, aber in Summe liegen alle Mitwirkenden im Durchschnitt ganz eng am korrekten Wert.

 

Ein Experiment, dass übrigens jeder ohne große Vorbereitungen im Kleinen selbst durchführen kann: Stellen Sie bei Ihrer nächsten Party einfach ein verschlossenes, großes Glas auf den Tisch, Rand gefüllt mit vielen bunten Smarties oder M&Ms, und lassen Sie Ihre Gäste die Anzahl der Schokokügelchen schätzen. Das Endergebnis könnte Sie verblüffen. Und Sie hätten unfreiwillig den Beweis dafür erbracht, dass Wahlbörsen im Gegensatz zu herkömmlichen Umfragen weder eine Repräsentativität noch eine besonders hohe Anzahl von Teilnehmern benötigen, um eine vernünftige Prognose abzuliefern. Wahlbörsen mit lediglich 50 Personen funktionieren genauso gut wie Börsen mit 500 Teilnehmern, sie sind nur weniger attraktiv.

Und der zweite Mechanismus?
Der zweite Mechanismus, der bei einer Wahlbörse greift, ist das Urprinzip jeder Börse. Der Preis einer Aktie wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Erscheint mir etwas billig, kaufe ich, ist eine Aktie überbewertet, verkaufe ich. Dabei habe ich stets im Hinterkopf, Gewinn zu machen und mein Portfolio zu optimieren.  

Gibt es außer der Oberbürgermeisterwahl in Karlsruhe noch mehr Wahlen, die per Aktienhandel vorhergesagt werden?
Ja, auf der Prognoseplattform Wahlfieber werden von einer eifrigen Community-Wahlbörsen zu fast allen Wahlen im deutschsprachigen Raum und im europäischen Ausland durchgeführt. Nicht zuletzt auch zu den verschiedenen Wahlen in den USA Anfang des Monats. Übrigens: Auf alle Märkte, die ich eben angeführt habe, können auch die ka-news Leser zugreifen. Sie verbergen sich in der oberen Navigationsleiste hinter "Weitere Märkte".

Spekuliert wurde unter anderem auch auf die US-Präsidentschaftswahl. War der klare Wahlsieg von Barack Obama für die Wahlbörsianer eine Überraschung?
Ganz im Gegenteil! Wir sind alle sehr entspannt in die lange Wahlnacht gegangen. Die entscheidende Frage auf Wahlfieber lautete nicht: Gewinnt Obama? Sondern: Wie hoch gewinnt Obama? Sein klarer Sieg stand nie in Abrede. Auch nicht nach dem für Obama eher schwachen ersten Rededuell mit Romney.

Es verwundert mich an dieser Stelle aber die Ahnungslosigkeit der deutschen Medien, leider auch der Öffentlich-Rechtlichen. Ich frage mich: Kann es angehen, dass einige wenige Wahlfieber-User nicht zum ersten Mal US-Wahlen im Vorfelde korrekt analysieren, während viele Medien ihren Zuschauern über Wochen ein Kopf-an-Kopf Rennen prophezeiten? Die Fehleinschätzungen bezüglich der USA haben in Deutschland hingegen beinahe schon System. Denn auch bei den Vorwahlen kündeten die Medien am Abend oder tags zuvor mitunter von Favoriten, die in derselben Nacht haushoch verloren. Ganz eindeutig in Bezug auf den Wahlausgang waren für jedermann verfügbare amerikanische Quellen wie der Blog von Nate Silver auf der New York Times-Webseite oder die Wahlbörse Intrade. Und nicht zuletzt Wahlfieber

Der Markt zur Karlsruher OB-Wahl ist für jeden offen. Wie viel Fachwissen braucht man, um hier mit zu handeln?
Um Grunde genommen keines. Aber wie bei vielen Dingen im Leben, ist Wissen auch an einer Wahlbörse nie schädlich. Wissen zum Beispiel im Sinne von Information, die wiederum durch Handeln in die Börse einfließt.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Stadtteil X kämpft seit Jahren mit einem speziellen, noch ungelösten Problem, das viele Menschen bewegt. Die zwei Fragen, die sich ein Händler nun stellt, sind: Welchem Kandidaten nützt dies? Welchem Kandidaten könnte dies eher schaden?

Je nachdem, wie er die Fragen beantwortet, greift er, mit seinem Informationsvorsprung, ins Wahlbörsengeschehen ein. Dabei sollte er allerdings eines immer beachten: Eine Wahlbörse ist kein Wunschkonzert, sondern ein durchaus ernsthaftes Prognoseinstrument. Hier geht es nicht darum, was ich mir persönlich wünsche, sondern was ich real erwarte.

Auch den von mir persönlich favorisierten Kandidaten nach oben zu pushen, bringt nur wenig. Es ruiniert im schlimmsten Fall mein Konto, und die Mitspieler freuen sich über leichte, risikolose Gewinne.  

Die Kurse der Kandidaten im Karlsruher Markt sind ständig in Bewegung, in den Kurven der Aktien von Frank Mentrup und Ingo Wellenreuther gibt es sogar deutliche Dellen, wo der Kurs mal um fünf, sechs Prozentpunkte nach unten oder oben abgewichen ist. Wie kommt sowas?
Größere Kurschwankungen spiegeln häufig Unsicherheit wieder. Ein solches Phänomen tritt wiederholt bei Wahlbörsen auf, auf denen nicht Parteien, sondern Personen gehandelt werden. Der Wert einer Partei lässt sich für einen Händler oft leichter ermitteln als das Ergebnis einer Person.

Denn: Ich habe bei einer Personenwahl kaum Vergleichsmöglichkeiten. Das Ergebnis der letzten OB-Wahl ist zum Beispiel nur von geringem Informationswert, da damals andere Personen kandidierten. Ebenso die Ergebnisse aller anderen Wahlen, da unter anderem davon auszugehen ist, dass die Wähler bei einer Persönlichkeitswahl weniger partei- oder lagergebunden denken und auch zunehmend bereit sind, ihr Kreuz bei einem Kandidaten zu machen, dessen Partei sie sonst niemals wählen würden. Dies immer richtig einzuschätzen ist nicht leicht. Nicht nur Wahlbörsen tun sich daher schwerer, einen Trend wieder zu geben oder eine exakte Prognose zu erstellen - auch die herkömmlichen Meinungsumfragen.  

Die Anhänger der Kandidaten oder sogar die Kandidaten selbst haben ein Interesse daran, auf dem virtuellen Marktplatz möglichst gut da zu stehen. Wie verhindern Sie, dass der Markt bewusst manipuliert wird?
Zunächst: Verkennen Sie den Markt nicht! Die meisten Angelegenheiten regelt er nämlich selbst. Wenn beispielsweise eine Aktie manipuliert wird - unter Manipulation verstehe ich an der Stelle auch das hoch oder runter Jagen einer Aktie um mehrere Prozentpunkte - sind sofort andere Händler zur Stelle, um Gewinnmitnahmen zu realisieren.

Nichtsdestotrotz: Ich vertraue nicht unbedingt den freien Kräften des Marktes. In der Virtualität nicht und in der Realität sowieso nicht. Auch deswegen werden von uns in regelmäßigen Abständen alle Handelsaktivitäten überprüft und die Userdaten miteinander verglichen. Dafür stehen uns - nach über einem Jahrzehnt - Wahlbörsenpraxis diverse Tools zur Verfügung, die ständig erweitert werden. Denn die Tricks, die einige wenige User versuchen, sind vielfältig. Unsere Tools sind in den allermeisten Fällen jedoch besser. Nebenbei bemerkt: Wer schummelt oder manipuliert, fliegt. Ohne Vorwarnung!

Und was kein Tool leisten kann, gleicht notfalls die persönliche Erfahrung aus. Ich selbst habe jahrelang auf Wahlbörsen, salopp formuliert, gezockt, bevor ich dieses Hobby zum Beruf gemacht habe. Ich weiß daher sehr genau, dass man Wahlbörsen auch manipulieren kann, aber ich weiß ebenso genau, wie man dieses als Betreiber klar und rechtzeitig unterbindet. Und zum Glück verfügt Wahlfieber zusätzlich über eine Community, deren Heavy Usern kaum ein Manipulationsversuch entgeht. Die sind manchmal schneller als ich.  

Karlsruhe wählt am 2. Dezember seinen nächsten Oberbürgermeister, wie nah liegen denn die Markt-Vorhersagen ihrer Erfahrung nach am tatsächlichen Ergebnis?
Ich denke, wir bilden derzeit einen Trend oder eine Erwartung ab, noch keine exakte Prognose. Wie beispielsweise für die USA. Warum? Kommunale Wahlen sind, wie bereits erwähnt, schwer zu prognostizieren. Sie sind nur von begrenztem regionalen Interesse und die Informationen, die man über sie im Netz findet, sind oft, anders als bei bedeutenden überregionalen Wahlen, rar gesät. Vielfältige Informationen sind aber Voraussetzung dafür, dass sich der Wahlbörsianer eine möglichst genaue Meinung bilden kann, die er anschließend durch Käufe oder Verkäufe in den Markt einbringt. Das ist übrigens eine weitere Erklärung für die Kurssprünge, über die wir eben sprachen.

Ich setze daher bei kommunalen Wahlbörsen andere Qualitätsmaßstäbe an als beispielsweise für Börsen zu Bundestags- oder Landtagswahlen. Dort wäre ein Abweichungsfehler von zwei oder drei Prozentpunkten eindeutig eine schlechte Prognose, kommunal läge ein derartiger Fehler hingegen im mittleren Rahmen. Dies schmälert keineswegs die Qualität oder die Notwendigkeit von solchen Wahlbörsen. Denn oft sind sie der einzige Orientierungspunkt für den Wähler, da es nur selten Umfragen gibt.

Welche Erfahrungen haben Sie denn bei anderen kommunalen Wahlen gemacht?
Wir haben im letzten Jahr die nationalen Wahlen in der Schweiz mit dem auch Wahlfieber zugrunde liegendem Produkt Pro:Kons prognostiziert, in Kooperation mit dem Schweizer Fernsehen. Zur Freude der schweizer Meinungsforscher haben wir es dabei gewagt, absolutes Neuland zu betreten, und versucht, die Wahlen in den einzelnen Kantonen, sowohl für den Nationalrat als auch für den Ständerrat abzubilden, Bei letzterem handelt es sich wie einer OB-Wahl um eine reine Personenwahl. Auch die kleineren, unbedeutenden Kantone wie Uri oder Appenzell, blieben von unseren Wahlbörsen nicht verschont. Kantone, in die sich vermutlich noch nie ein Meinungsforscher getraut hat. Man hat uns allgemein ein Scheitern vorhergesagt. Am Ende war das Gegenteil der Fall.

Jeweils 50 bis 200 Usern - nur etwa zur Hälfte Schweizer - ist es geglückt, selbst für Kantone, deren Wahlen keinerlei Echo in den Medien fanden, eine insgesamt sehr respektable Prognose aufzustellen. Spätestens seit letztem Herbst bewegt sich daher das Instrument Wahlbörse in der Schweiz auf gleicher Augenhöhe mit den konventionellen Meinungsumfragen. Und die eidgenössischen Forscher haben erkannt, dass Wahlbörsen Bereiche abdecken können, die für Meinungsumfragen völlig ungeeignet erscheinen. Wie beispielsweise kleinere regionale oder kommunale Wahlen.

Fragen: Felix Neubüser



Grün wirkt.