„Eine vollständige Kontrolle ist unmöglich“
- Interview mit SHOPeLINE.

Dass bei eBay nicht alles Gold ist was glänzt, zeigt sich an Hand des Beispiels von Thomas Peick. Als Verkäufer erhielt er von eBay für von ihm eingestellte Artikel eine Verwarnung. Für den Betroffenen war dies nicht nachvollziehbar, da die von ihm angebotenen Fotobände in der Bücherdatenbank von eBay zu finden sind. Thomas Peick ist aber nicht nur ein gemeiner eBay-Nutzer, sondern seit 10 Jahren als Mitglied einer Landesmedienanstalt auch in der Funktion eines so genannten „Medienwächters“ tätig. SHOPeLINE sprach mit ihm über die Themen Jugendmedienschutz im Allgemeinen sowie eBay im Besonderen und publizierte einen Auszug des Interviews bereits in der vorangegangenen Ausgabe. Lesen Sie nun das gesamte Interview


Herr Peick, Sie sind kein Branchen-Insider, aber Sie waren von 1996 bis 2005 Medienrat einer Landesmedienanstalt und somit auch für den Jugendschutz in den Medien verantwortlich. Welche Aufgaben werden hier wahrgenommen?

Thomas Peick: Zu den ureigenen Aufgaben der Medienanstalten gehört die Beobachtung der Programmangebote. Zu den so kontrollierten Medien zählen die privaten Rundfunkanstalten - wie RTL, SAT1, Pro7 -, aber auch die Neuen Medien, nicht jedoch die Öffentlich-Rechtlichen und die Printmedien. Die einzelnen Programme und inhaltlichen Angebote werden dabei u.a. nach Jugendschutzkriterien begutachtet, dazu zählt auch der Aspekt: „Wie schütze ich Kinder und Jugendliche effektiv vor möglichen negativen Auswüchsen des Medienkonsums und mancher Medien?“
Hier scheiden sich jedoch oft die Kontrollgeister. Während die einen immer wieder auch umfassende Verbote einfordern – wir haben das aktuell grade am Beispiel des PC-Spiels „Counter-Strike“ erlebt –, suchen andere Kontrolleure nach Lösungen, bei denen Gesetze grundsätzlich nur den Rahmen des Jugendschutzes festzurren sollten. Letztere bauen verstärkt auf die Förderung der so genannten Medienkompetenz, appellieren aber auch an die Eigenverantwortlichkeit der Sender.

Wie funktioniert nun die Medienkontrolle?

Peick: Bei den klassischen Medien, also Radio und TV, war die Kontrolle relativ einfach und funktionierte nach bewährten Methoden: Fragwürdige Inhalte wurden entweder indiziert – ihre Ausstrahlung also de facto untersagt –, in ein nächtliches Zeitfenster verbannt oder mit zunehmender Digitalisierung codiert. Ein gutes Beispiel dafür ist der Jugendschutzcode des Anbieters „Premiere“: alle Sendungen, die für Zuschauer unter 16 nicht geeignet sind, können in der Zeit von 6 – 22 Uhr nur dann gesehen werden, wenn man sich vorher durch die Eingabe eines Codes legitimiert hat.
Bei den Neuen Medien funktionieren diese Mechanismen aber nur bedingt und oft gar nicht. Um ein Beispiel zu nehmen: Weder gibt es im Internet ein Zeitfenster noch können sämtliche Inhalte gefiltert werden. Im WorldWideWeb ist jede Seite in durchschnittlich 7 Klicks erreichbar und damit ist auch jeder x-beliebige Inhalt de facto immer verfügbar, allen Filterprogrammen zum Trotz. Da Verbote im Bereich der Neuen Medien also nur wenig bewirken – ich bin sogar der Meinung, Verbote machen erst recht neugierig, sie törnen im wahrsten Sinne des Wortes an, und außerdem finden Jugendliche immer einen Weg solche zu umgehen -, bedarf es anderer Wege für den Jugendmedienschutz in der digitalen Medienwelt.

Welche anderen Wege müssen gegangen werden?

Peick: Es gibt sicherlich keine Patentlösung, aber wir müssen z.B. akzeptieren, dass es unmöglich ist, Kinder und Jugendliche von den Medien insgesamt fernzuhalten, und somit auch von deren negativen Einflüssen. Selbst wenn wir im eigenen Heim Fernseher und Internet abschaffen würden, werden die Kids spätestens bei Freunden oder auf der Straße damit konfrontiert, denn wir leben in einer umfassenden Mediengesellschaft. Wir – das schließt Eltern, Schulen und alle sonstigen Einrichtungen ein - müssen daher unsere Kinder an die Medien gewöhnen und ihnen die Kompetenz vermitteln, mit diesen adäquat und kritisch umzugehen. Medien dürfen also nicht als kostengünstiger Babysitter missbraucht werden, wir müssen uns vielmehr immer wieder die Zeit nehmen, jungen Menschen die Medien und die gesehenen Inhalte zu erklären. Diesbezüglich sind aber wie erwähnt nicht nur die Eltern und das enge soziale Umfeld in der Pflicht, sondern alle Bildungs- und sonstigen staatlichen wie privaten Einrichtungen und Organisationen. In Zeiten leerer Kassen ist allerdings grade die Politik gerne bereit, ihre diesbezüglichen Pflichten grob zu vernachlässigen.
Auch sollten wir nicht vergessen, nicht die Sichtung bestimmter Inhalte ist per se jugendgefährdend, sondern erst deren unreflektierte Verinnerlichung. Und letzteres gilt es zu verhindern. Natürlich ist es genauso falsch, die Medien als das Grundübel darzustellen, das Minderjährige wie Erwachsene beständig mit Gewalt und Pornographie demoralisieren will.

Stichwort: Pornographie. Seit einiger Zeit gibt es auch einen deutschen Porno-Sender.

Peick: Das ist so nicht ganz richtig. Korrekt ausgedrückt handelt es sich bei „Blue Movie“ von Premiere nämlich nicht um einen herkömmlichen TV-Kanal, sondern um einen Mediendienst.

Wo liegt da der Unterschied?

Peick: Das ist eine berechtigte Frage. Für den Laien ist dieser Unterschied wohl kaum erkennbar, denn Programminhalte liefern beide. Und m.E. ist diese Differenzierung im Falle von „Blue Movie“ eher gekünstelt, wäre da nicht die juristische Komponente. Pornographie ist im deutschen Fernsehen weiterhin verboten - es sei denn, ARTE strahlt unter dem Deckmantel der Kultur ein weiteres Mal Oshimas „Im Reich der Sinne“ aus -, dieses Verbot gilt allerdings nicht für Mediendienste. Auch deswegen entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die bayrische Landesmedienanstalt BLM als erste einen Porno-Sender in Deutschland lizenziert hat.

Wäre es da nicht konsequent, das Pornographieverbot gänzlich aufzuheben?

Peick: Erklären Sie das mal jenen Jugendschützern, die seit Jahrzehnten Arm in Arm mit Emma und der katholischen Kirche ihre PorNO-Flagge hochhalten. Da werden Sie wohl auf Granit beißen…
Dieser Schritt wäre allerdings nicht nur konsequent, sondern auch sinnvoll, denn die jetzige Regelung treibt alle potentiellen Anbieter ins Ausland, in Länder, in denen ein solches Verbot nicht besteht. Von dort sind dann deren Programme dank digitaler Satellitentechnik - allerdings außerhalb jeder Eingriffsmöglichkeit der deutschen Medienanstalten - in den hiesigen Wohnstuben empfangbar. Eine Aufhebung dieses Verbotes hätte also den großen Vorteil, dass die Medienkontrolleure auf das Programm und auf Jugendschutzmaßnahmen Einfluss nehmen und die gleichen Kriterien wie bei allen anderen in Deutschland lizenzierten TV-Sendern anlegen könnten.

Themenwechsel: Mit der Plattform eBay haben Sie selbst bezüglich „eBay- Richtlinien“ und eingestellter Artikel Erfahrungen gesammelt. Können Sie uns das Vorgefallene genauer schildern?

Thomas Peick: eBay geht mitunter den Weg der Verbote, mit oft sonderbaren Auswüchsen. Nimmt man nämlich die eBay-Richtlinien ernst, dann ist jeder Artikel mit sexuellem Inhalt verboten – und dieser Grundsatz gilt unabhängig von einer Altersfreigabe. Wo aber beginnt Sexualität, wann ist beispielsweise ein Foto aufreizend? Die Grenzen sind bekanntlich sehr fließend: Mancher findet schon ein normales Foto von Heidi Klum höchst erregend, den anderen lassen selbst Gina Wild oder Julia Taylor in action eiskalt.

Wenn man nun weiß, dass weder Kinder noch Jugendliche unter 18 bei eBay Mitglied werden dürfen, stellt sich unweigerlich die Frage: Wer soll hier eigentlich geschützt werden? Und: Welche Moralvorstellung verbirgt sich möglicherweise hinter diesen Richtlinien? Eine denkbare Antwort könnte im Folgenden liegen: eBay ist ein US-amerikanisches Unternehmen, befürchtet möglicherweise negative Publicity oder Klagen in den Staaten und ist daher bereit, wie ich vermute, sich im vorauseilenden Gehorsam den Wünschen der Moral Majority und anderen konservativen Kräften zu beugen. Ein Fallbeispiel: Ich habe vor einigen Monaten mehrere Fotobände angeboten, die sich sämtlich - und das ist das Pikante - in der Bücherdatenbank von eBay befinden, so dass ich sie ohne weitere Bedenken eingestellt habe. Schon wenige Tage später wurde ich jedoch wegen des Einstellens von Artikeln verwarnt, die gegen die eBay-Grundsätze verstoßen. Woran aber soll sich ein Verkäufer im Zweifelsfall orientieren, wenn nicht an den Daten, die eBay seinen Mitgliedern zwecks Einstellerleichterung zur Verfügung stellt?

Wie erklären Sie sich, dass die Kontrollmechanismen bei eBay offensichtlich nicht richtig funktionieren? Oder ist da etwa eine Doppelmoral im Spiel?

Peick: Gegenfrage: Warum werden besonders häufig selbst ernannte Moralisten eines wirklich unmoralischen Verhaltens überführt? Ich halte das für keinen Zufall. Richtig ist: Der eBay-eigene Kontrollmechanismus musste versagen. Hier gilt das Prinzip, dass ich eingangs bzgl. des Jugendmedienschutzes angeführt habe. Eine vollständige Kontrolle ist unmöglich, und je mehr man verbieten möchte desto unübersichtlicher und fehlerhafter wird das Vorgehen. Viel bezeichnender ist aber die Email, die ich in diesem Zusammenhang von eBay erhalten habe und die vielleicht unfreiwillig die wirklichen Moralvorstellungen der eBay-Macher widerspiegelt. Der Grundsatz, gegen den ich verstoßen habe soll, wird bei eBay unter „sexueller Inhalt und schmutzige Wäsche“ geführt. Das lässt sich vielschichtig deuten, auch so: Sexualität und Erotik sind in den Augen von eBay nicht etwas Wunderbares, sondern eher schmutzig und dreckig.

Das ist aber nicht das erste Mal, dass eBay bei mir heftiges Kopfschütteln ausgelöst hat. eBay nannte z.B. auch mal einen „genialen“ Wortfilter sein eigen, der ähnliche Stilblüten trieb. Dieser funktionierte in etwa nach folgendem Muster: Enthielt eine Artikelüberschrift ein Wort, das nicht gewünscht war, so konnte dieser Artikel nicht mehr durch die eBay-Suchmaschine gefunden werden. Das nahm teilweise schon abstruse Züge an, so fiel auch unfreiwillig das Wort „Marsch“ darunter. Der naive und ahnungslose User mag jetzt vielleicht denken: Fein, auch eBay gibt sich pazifistisch, aber weit gefehlt. Das Wort „Marsch“ enthält das Wort „Arsch“ und genau dieses war indiziert.
Übrigens gibt es dazu eine interessante Seite im Netz: www.wortfilter.de


Was halten Sie generell von eBay-Verboten in Bezug auf Verkäufe von erotischen Artikeln oder Hilfsmitteln?

Peick: Wieder eine Gegenfrage: Was würde denn passieren, wenn eBay diesen Verkauf zuließe? Würde eBay dann etwa zum Sündenpfuhl mutieren und alle Minderjährigen sittlich verderben? Wohl kaum.

Primär ist dies daher m.E. weniger eine Frage des Schutzes von Minderjährigen - die ja bei eBay gar nicht Mitglied werden dürfen -, sondern eher eine technische Frage. Wie kann verhindert werden, dass pornographische Fotos oder Texte auf eBay erschienen oder wie können diese ausschließlich einem bestimmten Nutzerkreis zugängig gemacht werden? Das größte österreichische Auktionshaus 1-2-sold beweist, dass so etwas mit einfachen Mitteln möglich ist.


Grün wirkt.